Die Montagsdemo heute trat direkt gegen die Rolle auf, die der Bevölkerung penetrant und unisono von den Politikern der wahrlich staatstragenden Regierungs- und Oppositionsparteien zugewiesen wird: lammfromm Opfer bringen für deren Krise zum Erhalt ihres Systems. „Manche Leute schauen schon keine Nachrichten mehr, weil sie das Elend nicht mehr ertragen. Andere haben ein mulmiges Gefühl für die Zukunft. Orientierung ist gefragt, nicht Schockstarre. Die Mehrheit der Menschen will nicht untergehen, will friedlich leben, will sich nicht ausbeuten lassen und dann den Arbeitsplatz verlieren wie bei Ford, will in der Welt was Gutes schaffen“, hieß es.
„Von Scholz über Habeck bis Steinmeier machen sich nun alle große Sorgen“, so die Moderatorin. „Aber nicht etwa um die Kriegsopfer auf beiden Seiten, nicht um unsere kalten Wohnungen im Winter, um die schlechte Ernährung bei starker Inflation, nicht um die Hungernden im sogenannten globalen Süden. Sie machen sich Sorgen wegen des ‚sozialen Sprengstoffs‘, so der Kanzler Scholz am 03.07., fürchten ‚aggressive Debatten‘, ‚Verteilungskämpfe‘ – oder am Ende eine Revolution? – kurz sie wollen, dass alles so bleibt, wie es ist: Sie oben, wir unten.“
Die Redebeiträge am offenen Mikro wirkten befreiend und zogen etliche Gruppen vor allem Jugendlicher an, die heftig untereinander diskutierten, sich aber auch trauten, selbst was zu sagen: „Wir sind froh, dass dies hier stattfindet. Wir brauchen Frieden, in Syrien und überall. Wir dürfen nicht still sein,“ forderte ein jugendlicher Geflüchteter.
„Wie Knospen brechen auch im Saarland vereinzelt Arbeiterkämpfe auf und entwickelt sich eine neue Zusammenarbeit derer, die sich nicht einschüchtern und einlullen lassen – Die Kolleginnen und Kollegen der Ford-Belegschaft haben am 22.06. begonnen zu kämpfen. Die Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen hat mit einem wunderschönen, schwesterlichen und internationalistischen Fest letzten Samstag volle Fahrt aufgenommen. Syrische Geflüchtete engagieren sich in der Flutopfer – und Ukraine-Hilfe und verbinden sich mit hiesigen Bergleuten und Umweltkämpfer*innen. Daran sollten wir weiterbauen, das macht uns auf Dauer unschlagbar“, sagte jemand.
„Das 9.-€-Ticket muss auf jeden Fall bleiben, als Betroffener von Hartz IV bin ich so froh damit – erstmals seit Jahren komme ich ein wenig rum in Deutschland“, sagte einer – viel Applaus und das Versprechen, gemeinsam dran zu bleiben. Nicht betteln, sondern sich organisieren.
„Nur eins müssen wir uns merken: Je härter die Lage wird, umso perfider werden die Tricks, uns zu vertrösten, hinzuhalten. Angeblich gibt es massenhaft Möglichkeiten, ein Ende bei Ford Saarlouis ‚auszugleichen‘ durch Arbeitsplätze bei ZF, durch Aufkauf des Geländes aus Steuergeldern usw. Sollen sie diese angeblich reichlich vorhandenen künftigen Arbeitsplätze doch den Jugendlichen in den Warteschleifen und den Geringverdienern geben, von denen es Tausende im Saarland gibt. Aber sie sollen die Finger von den Jobs bei Ford lassen!“, war die entschiedene Meinung eines Redners.
Die Montagsdemo verabschiedete eine Solidaritätserklärung an die Ford-Belegschaft (siehe unten angehängt) und verabredete verbindlich, davon genügend Kopien zu machen, um sie am Werkstor zu verteilen. „Montagsdemo Saarbrücken goes to Saarlouis“. Auch das war neu.
Schön war auch, dass ein Redner aufforderte, sich an den Vorbereitungssitzungen engagiert zu beteiligen. Seit Beginn der Pandemie haben wir auf unsere gemeinsamen größeren Treffen nach der Montagsdemo verzichtet. Nicht gut, dass die eingeschlafen sind! Die nehmen wir wieder auf und am 22.07. + 29.07. bereiten wir die nächste Montagsdemo vor. Ort und Uhrzeit werden noch bekannt gegeben.
Die 495. Montagsdemo ist am 01. August – um 18:00 geht‘s los bei der Europa-Galerie.
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…und hier noch die ohne Gegenstimmen verabschiedete Soli-Erklärung an die Leute bei Ford:
Montagsdemo Saarbrücken gegen die Hartz-Gesetze vom 04.07.2022
Solidaritätserklärung an die Belegschaft von Ford Saarlouis
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vorneweg: Herzlichen Glückwunsch zu Eurer kämpferischen Demo und zur Blockierung der Autobahn-Auffahrt am 22.06.! Das war – bei allem Elend dieses Tages – ein sehr wichtiges Signal an das Ford-Management.
Das hieß: Hände weg von unseren Arbeitsplätzen, Hände weg von unserer Zukunft!
Ihr habt damit eure Kampfbereitschaft gezeigt – und dieser Kampf fängt jetzt erst richtig an. Gegen alle Illusionen, irgendwo sonst unterzukommen. Gegen alle schönen Worte der Landesregierung. Gegen alle Spaltungsversuche der Konzernbelegschaft in einzelne Teile.
Gegen einen Riesenkonzern, der um Verkaufszahlen und Profit auf dem Weltmarkt keinerlei Rücksicht auf Euch nimmt.
Ohne einen selbständigen Streik wird es nicht gehen. Das Know-how dafür werdet Ihr finden.
Wir fragen Euch: Wie können wir Euch konkret unterstützen? Sagt uns, wenn wir Flyer am Werkstor verteilen sollen. Welche Öffentlichkeitsarbeit können wir machen in Saarbrücken?
Meldet Euch, wenn ihr mit uns der Meinung seid, Gewerkschafter*innen und die Arbeitslosenbewegung müssen sich nun vernetzen.
Wir sind nicht so viele in Saarbrücken, aber wir sind mutig und wir haben als Montagsdemo gegen die Hartz-Gesetze einen langen Atem und ziemlich viel Ahnung von Schein und Wirklichkeit in Politik und Wirtschaft.
Und genau darauf kommt es derzeit an:
Wir halten viel vom gemeinsamen Kampf um die 30-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich als Konzernvereinbarung.
Keine Salamitaktik der Konzernspitze nach dem Motto: „Bis 2025 ist es noch weithin“.
Keine opportunistischen Schachzüge und Verhandlungen – es geht hier nicht um Einzelinteressen, sondern um die Gesamtinteressen der Arbeiter*innen und ihrer Jugend für eine Zukunft in Frieden.
Die Werksferien nutzen – für Erholung, aber auch für gegenseitige Besuche und Beratung über Weg und Ziel eines wirksamen Streiks.
Wir freuen uns auf eure Antwort und ganz besonders über euren Besuch spätestens zu unserer 500. Saarbrücker Montagsdemo am 05. September. Save the Date!
Eure Montagsdemo
Sprecherin: Sabine Fricker, fon: 0162/8048787 email:binesaar@t-online.de