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Kommentar zum bedingungslosen Grundeinkommen

Stephan Brandt   Hamburg                   29. Dezember 2009

Liebe Website-Verantwortliche »bundesweite-montagsdemo«,

mit Interesse habe ich auf eurer Seite »Besondere Berichte« den Beitrag »Erwerbslosig­keit und Armut überwinden mit der Forderung der Bremer Montagsdemo nach einem bedingungslosen Einheitsgrundeinkommen!« gelesen.

Zugleich habe ich mich gewundert, dass praktisch alle Teilnehmer einer Montagsdemo in Bremen diesem von Hans-Dieter Wege verfassten Programm zustimmen. Trotz aller guten Absichten des Verfassers steht diese Erklärung meines Erachtens vollständig im Gegensatz zu den Zielen der Montagsdemonstrationsbewegung.

Bis zu meinem Umzug nach Hamburg Anfang 2009 war ich einer der Moderatoren der Duisburger Montagsdemo. Anfang 2007 habe ich im Gewerkschaftshaus Duisburg eine viel beach­tete Veranstaltung mit Professor Rainer Roth, einem prominenten Kritiker des »bedin­gungs­lo­sen Grundeinkommens« mitorganisiert. Unsere damalige Kritik hat seither nichts an Aktualität eingebüßt. Auch das 2006 erschienene Buch von Rainer Roth, »Zur Kritik des Bedingungslosen Grundeinkommens«, DVS-Verlag Frankfurt, ist nach wie vor sehr empfehlenswert. Wir kritisierten und kritisieren folgendes:

  1. Weltanschauliche Grundlage des bedingungslosen Grundeinkommens ist die Illusion über einer weitgehende Aufhebung der Lohnarbeit im Kapitalismus. Das ist ein Widerspruch in sich, weil der Kapitalismus auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruht. Der Kapitalismus als Gesellschaftssystem bleibt aber durch das bedingungslose Grundeinkommen ausdrücklich unangetastet.
  2. Die »bedingungslose« Bezahlung eines Grundeinkommens für jedermann führt dazu, dass sich für den Kapitalisten alle Lohnkosten um das vom Steuerzahler finanzierte Grundeinkommen vermindern. Das bedeutet eine grandiose Lohnsubvention in der Form eines Kombilohns.
  3. Die »Bedingungslosigkeit« eines Grundeinkommens unterstellt, dass 80 Millionen Menschen Leistungen ohne Gegenleistung erhalten sollen. Das bedeutet, dass die, die diese Leistungen erhalten und nicht arbeiten wollen, von denen finanziert werden, die arbeiten.
  4. Wie auch immer ein bedingungsloses Grundeinkommen öffentlich finanziert wird, die Mittel dafür (selbst die Steuern der Unternehmer) rühren letztlich allein daher, dass rund 40 Millionen Arbeiter und Angestellte ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkau­fen. Das bedingungslosen Grundeinkommen organisiert deshalb regelrecht die Spal­tung der Arbeiterklasse in die, die (noch) Arbeit haben und die, die arbeitslos sind. Das widerspricht einem Grundanliegen der Montagsdemonstrationsbewegung.

»Begründet« wird die Notwendigkeit eines Grundeinkommens von Hans-Dieter Wege wie bereits von allen seinen Vorgängern durch die »Feststellung«, dass nicht genug Arbeit da sei. So errechnet er, dass bei der Einführung der 30 Stundenwoche für alle 44 Millio­nen erwerbstätigen Lohnarbeiter dann für 24 Milliarden Lohnarbeitsstunden im Jahr kei­ne Arbeit mehr vorhanden sei. Urlaubs -und Krankheitszeiten lässt er bei seiner erstaun­li­chen Rechnung ebenso unberücksichtigt wie die vielen Millionen auch weiterhin Teilzeit­beschäftigten, wie den Kampf gegen die verschärfte Arbeitshetze in den Betrieben und vor allem die Ausweitung der Arbeit in so wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wie dem Umweltschutz, Erziehungswesen oder in den Pflegeberufen.

Auch erstaunt mich, wie elegant Hans-Dieter Wege mit seinem Vorschlag für ein »linkes bedingungsloses Einheitseinkommen« bewährte Forderungen der Montagsdemos (eben nicht nur der MLPD!) vom Tisch zu wischen versucht: bei einer Einführung der 30 Stun­denwoche bei vollem Lohnausgleich müssten die Löhne laut Hans-Dieter Wege um 25 % (in Wahrheit um 16,6 %) erhöht werden. Das hält er im Unterschied zu einer Erhöhung von Hartz IV um rund 40 % auf ein bedingungslosen Grundeinkommen von 1000 € im Monat seltsamerweise für unmöglich.

Die Verteidiger des bedingungslosen Grundeinkommens müssen sich die Frage stellen, warum sich immer mehr bürgerliche Politiker und Vertreter von Kapitalistenverbänden für ein »Bürgergeld« (wie die FDP) oder sogar für ein»bedingungsloses Grundeinkom­men« (wie der ehemalige thüringische Ministerpräsident Althaus) bis zu einer Höhe von etwa 800 € erwärmen können. Dass es ihnen keinesfalls darum geht, das Schicksal der Hartz IV-Betroffenen auch nur zu lindern, stellen sie täglich unter Beweis.

Nein, ihr Herz schlägt eben nicht allein aus ökonomischen Gründen (Kombilohn) für das bedingungslose Grundeinkommen, sondern vor allem aus politischen. So erläutert der »Urvater« des bedingungslosen Grundeinkommens, der Besitzer der dm-Einkaufskette und Milliardär Götz Werner, dessen entscheidenden Vorteil für das Monopolkapital: »Aber der soziale Crash, auf den wir unweigerlich zusteuern, würde nicht stattfinden… Vergleichen Sie das mal mit dem Aufstand in der Pariser Banlieue letztes Jahr! Wenn wir uns nicht schleunigst ändern, dann sieht es bei uns bald genauso aus.« (Interview in »die Drei«, Zeitschrift für Anthroposophie, April 2007)

Es liegt mir fern, einem zwar zornigen aber blinden Protest das Wort zu reden. Tatsache ist aber, »Weg mit Hartz IV!«, die 30 Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich, die unbe­grenzte Fortzahlung des Arbeitslosengeldes für die Dauer der Arbeitslosigkeit ,10 €-Min­dest­lohn und eine existenzsichernde Sozialhilfe, all das erfordert organisierte Mas­sen­kämpfe gemeinsam mit der Arbeiterbewegung. Und eben das wollen die Kapitalis­ten und Politiker, die sich für das bedingungslose Grundeinkommen aussprechen, gerade vermeiden. Denn in solchen Kämpfen stellen immer mehr Menschen die herrschende Ordnung grundsätzlich infrage. Das tut das bedingungslose Grundeinkommen ausdrück­lich nicht.

Beste Grüße und alles Gute für ein gemeinsames erfolgreiches 2010!

Stephan Brandt

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