Kandidaten von fünf Parteien bzw. Wählerinitiativen trafen sich gestern, 10.08.2020, mit den Demonstranten der Bochumer Montagsdemo zu einer öffentlichen Debatte über kommunale Wahlkampfthemen. Alexander Knickmeier (SPD), Leon Beck (FDP), Amid Rabieh (Linkspartei), Volker Steude (Stadtgestalter) und Reinhard Junge (Soziale Liste Bochum) stellten sich den Fragen aus dem Publikum. Kenau Yildiz (CDU) musste sein Kommen aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Vor zeitweise bis zu 70 Personen entwickelte sich eine lebhafte Debatte. Vor allem die Themen Armut in Bochum, der öffentliche Personennahverkehr und die Schaffung von Arbeitsplätzen standen im Vordergrund.
Nachfolgend Auszüge aus den Diskussionen. Der Vertreter der SPD berichtete von der angeblich positiven Entwicklung in Bochum: „Wir haben zwar in Bochum viele Arbeitsplätze durch die Schließung des Opelwerks verloren. Jedoch sind auf dem Entwicklungsgelände Mark 51 7 (ehemaliges Opel Werk I) zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden, u.a. durch die Ansiedlung eines großen Logistikunternehmens“. Dagegen warf eine Rednerin ein: „Was nützen mehrere hundert neue Arbeitsplätze bei DHL, wo die Beschäftigen deutlich geringere Entgelte als bei Opel haben? Im Übrigen ist es zweifelhaft, ob es neue Arbeitsplätze sind und sie nicht das Ergebnis von Betriebsverlagerungen.“ Knickmeier sprach von bis zu 33 000 neuen Arbeitsplätzen. Auf den Zwischenruf eines Passanten, wo diese Arbeitsplätze sind, konnte der SPD-Politiker keine konkreten Angaben machen. „Aber Sie können mich persönlich zur Verantwortung ziehen, falls ich in den Rat der Stadt Bochum gewählt werde“.
Der Kandidat der Linkspartei, Amid Rabieh, zugleich Bürgermeisterkandidat, kritisierte diese Aussage: „Es ändert sich nichts an der allgemeinen Situation in Bochum, wenn ein Ratsmitglied zur Verantwortung wegen nicht eingehaltener Wahlversprechen gezogen wird.“ Rabieh schilderte die große Zunahme der Kinderarmut unter der Politik von Rot/Grün in Bochum, den Zustand der Schulen und kritisierte auch den ÖPNV. Er forderte u.a. bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen und einen kostenlosen ÖPNV. Besonders prangerte Rabieh den Ausschluss der Linkspartei aus einer Kampagne des Rates gegen die Wahl von AfD und NPD an, weil linke Politik und Rechtsextremismus offenbar in einen Topf geworfen werden. Er kündigte an, gegen diesen Ratsbeschluss vorzugehen. Dafür bekam Rabieh große Zustimmung und viel Beifall aus dem Publikum.
Leon Beck von der FDP ging auf die Armut ein: „Gute Aus- und Weiterbildung erhöhen die Chance auf einen Arbeitsplatz und tragen damit zur Verringerung der Arbeitslosigkeit und auch Armut bei“. Woher die qualifizierten Arbeitsplätze kommen sollen, ließ Beck offen. Außerdem plädierte er für die Senkung der Gewerbesteuer, weil Bochum dann attraktiver für die Ansiedlung von neuen Unternehmen würde. „Sie machen sich damit zu einem Handlanger der Konzerne“, konterte eine Rednerin. Der FDP-Politiker antwortete darauf: „Wir wollen die Gewerbesteuer ja nicht auf Null senken.“ Eine Frage wurde nicht beantwortet, warum die Benutzungsgebühren (Müllabfuhr, Straßenreinigung, Entwässerung) in Bochum im Gegensatz zu anderen Städten so hoch sind.
Der Vertreter der Stadtgestalter, Volker Steude, hob den unparteiischen Charakter seiner Organisation hervor. Die Stadtgestalter setzen sich u.a. für eine Stadt ein, in der sich die Bewohner wohl fühlen. Er machte Vorschläge für einen besseren ÖPNV mit größerer Taktdichte und noch mehr Linien und zum Ausbau des Radwegenetzes. Zur Schaffung von neuem Wohnraum meinte Steude: „Anstatt weitere Flächen zu versiegeln, sollten Häuser aufgestockt werden, wenn das statisch möglich ist“.
Reinhard Junge von der Sozialen Liste berichtete: „Wir sind gegen die Vernichtung von Grünflächen durch die geplante dichte Wohnbebauung im Gerther Westen. Außerdem unterstützen wir eine Bürgerinitiative gegen den weiteren Ausbau des Gewerbegebiets am Bövinghauser Hellweg in Gerthe und der geplanten Ansiedlung einer Bodenaufbereitungsanlage“.
Auch das Thema des schlechten Zustands vieler Schulen stand im Mittelpunkt. „Wir haben für die Sanierung bereits einen zweistelligen Millionenbetrag im Haushalt vorgesehen“, argumentierte Knickmeier von der SPD, „aber diese Mittel mussten an anderer Stelle eingespart werden. Wir können uns nicht weiterverschulden, so dass die Bezirksregierung einen Nothaushalt anordnet“. Der Vertreter der Linkspartei entgegnete: „Die Verschuldung der Stadt Bochum ist auch hausgemacht. Durch viele Prestigeobjekte, auch durch die Beteiligung der Stadt Bochum an anderen Unternehmen wie z.B. die Stadtwerke, sind viele Gelder verschwendet worden“.
Eine Rednerin rügte: „Man soll gerade in der Corona-Krise bargeldlos zahlen. Das kostet aber jedes Mal Gebühren. Warum setzt sich der Rat der Stadt Bochum nicht für die Abschaffung dieser Gebühren ein?“
Diese berechtigte Forderung – die u.a. auch von der Sozialen Liste erhoben wird – blieb unbeantwortet.
Zum Abschluss der Veranstaltung bedankten sich die Moderatoren bei den Kandidaten und hoben den sachlichen Charakter der Diskussion auf Augenhöhe hervor. Ein Moderator wies auf die 16-Jahr-Feier der Bochumer Montagsdemo am 14.09.20 in Bochum hin: „Wir würden uns freuen, wenn viele zu dieser Feier kommen. Für das Kulturprogramm sind noch Vorschläge ausdrücklich erwünscht“.
Ebenfalls rief der Moderator zu einer Spende für einen Solidaritätskreis auf, der einen gemobbten Mitarbeiter von Opel Warehousing unterstützt, der inzwischen gegen unberechtigte Abmahnungen vor dem Arbeitsgericht geklagt hatte.