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Pressemitteilung über die Bochumer Montagsdemo vom 11.11.19

Trotz nasskaltem Wetter diskutierten die Teilnehmer der Bochumer Montagsdemo ausgiebig über die Sanktionspraxis der Jobcenter bei Empfängern des ALG II (Hartz IV). Vor Beginn der Debatte wurde wie üblich die Eingangshymne der Montagsdemo gesungen. Einer der Moderatoren erläuterte die Auswirkungen des Richterspruchs: „Dass ALG II bis auf 0 Euro gekürzt werden kann, wenn der Leisungsbeziehergegen Vereinbarungen aus der Eingliederungsvereinbarung verstoßen hat, z.B. eine zumutbare Arbeit nicht angenommen hat. Im ersten Schritt wurden 30% des Arbeitslosengeldes IIfür die Dauer von drei Monaten gekürzt, im zweiten Schritt 60% und im dritten Schritt wurde die Leistung ganz gestrichen. Selbst für Fristversäumnisse von wichtigen Grund gab es eine Leistungskürzung von 10% des Regelbedarfes. Dieser Sanktionspraxis hat nun Karlsruhe einen Riegel vorgeschoben, Kürzungen des ALG I über 30% hinaus gefährden das Existenzminimum des Bedürftigen und sind daher verfassungswidrig. Berichtet von euren Erfahrungen mit dem Jobcenter bzw. der Arbeitsagentur!“

Ein Redner meldete sich: „Ich war arbeitslos und bezog zunächst das ALG I. Selbst hier versuchte die Arbeitsagentur, mich aufgrund der fehlenden Ausbildung in eine niedrigere Entgeltklasse einzustufen und berücksichtigte das bisher gezahlte Entgelt nicht vollständig. Anders als ALG II richtet sich die Höhe des ALG I nach dem Durchschnittsentgelt des letzten Jahres und beträgt rd. 60% dieser durchschnittlichen Bruttobezüge. Ich bekam so rd. 250,00 Euro weniger ausbezahlt als mir zugestanden hätte. Dagegen habe ich Widerspruch und Klage erhoben – mit Erfolg. Wie schlimm ist die Situation erst für Hartz IV – Empfänger, wenn der ohnehin viel zu niedrige Regelbedarf von 424,00 Euro/Alleinstehender dann noch um 30% Prozent oder mehr gekürzt wird? Die Gründe für solche Sanktionen sind häufig unberechtigt, da die Zumutbarkeitskriterien für eine Arbeitsaufnahme für ALG II – Bezieher selbst schon eine Zumutung sind, denn fast jede Arbeit muss angenommen werden, sogar Minijobs ohne Sozialversicherung oder jede Form von Leiharbeit“.

Ein weiterer Redner stimmte dem zu: „Bei mir wollte das Jobcenter meine Leistung um 10% kürzen, nur weil ich angeblich versäumt hätte, nach meinem Wohnungswechsel mich beim Einwohnermeldeamt umzumelden. Wahrscheinlich hat mich ein Schreiben des Jobcenters aufgrund meiner neuen Anschrift nicht erreicht, obwohl ich das Jobcenter darüber informiert habe. Die Mitarbeiter-innen dieser Behörde werden von oberster Stelle auch angehalten, möglichst viel Sanktionen zu verhängen, damit das entsprechende Jobcenter eine gute Leistungsbilanz ( Verringerung der Leistungshöhe bei der Zahlung des ALG II) vorweisen kann“.

Ein Passant  (Mitarbeiter der Deutschen Bahn) rief im Vorübergehen zu, Hartz IV sei nicht entrechtend. Viele junge Leute wollen nicht arbeiten und wir suchen Hände ringend Leute. Auf eine Diskussion am offenen Mikrofon wollte sich dieser Passant aber nicht einlassen.

Eine Rednerin griff diese Meinung auf und berichtete: „Ich war viele Jahre Krankenschwester und konnte diesen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Häufig mussten wir 45 Stunden oder mehr in der Woche arbeiten und die angefallenen Überstunden (bis zu 150 im Monat!) konnten auch nicht abgefeiert werden, weil das Personal fehlte. Zwar wird auch Pflegepersonal zur Zeit gesucht, aber bei diesen Arbeitsbedingungen lässt sich qualifiziertes Pflegepersonal schwer finden. Zudem ist die Bezahlung gemessen an den Anforderungen zu gering. Wenn sich diese Rahmenbedingungen verbessern würden, ließe sich auch Personal finden“.

Der andere Moderator merkte an: „Hartz IV ist eine Hauptursache für die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Wenn viele für einen solchen Hungerlohn nicht arbeiten wollen, ist das ihr gutes Recht. Die Regierung bezeichnet diese Arbeitsunwilligen als Faullenzer und weist daraufhin, dass Vollerwerbstätige oftmals nur wenig mehr Geld als Hartz IV – Empfänger haben, anstatt den zu geringen Mindestlohn von unter 10,00/Stunde entsprechend anzuheben“.

In diesem Zusammenhang wurde auch die von der großen Koalition beschlossene Grundrente angesprochen. „Diese Grundrente erreicht nicht einmal die offizielle Armutsgrenze von ca. 1050,00 Euro/Monat. Zwar wurde nach endlosen Debatten zwischen den Koalitionspartnern CDU und SPD die „Bedürftigkeitsfrage“ des Rentenempfängers gestrichen, stattdessen aber eine Einkommensprüfung verabschiedet. Dafür soll es einen Datenaustausch zwischen dem Rententräger und dem Finanzamt geben. Abgesehen davon, dass ein Empfänger von so geringer Rente weitere Einkommen hat (wer konnte sich bei dem ehemaligen geringen Einkommen z.B. Grundeigentum anschaffen), ist das Rentenniveau deutlich zu niedrig. Die Rente müsste bei 70% des letzten Nettoeinkommens oder zumindest in der Höhe der offiziellen Armutsgrenze liegen, außerdem ist das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen und Schwerarbeiter bei vollem Rentenausgleich zu senken“, hieß es in einer Wortmeldung.

„Die verabschiedete Grundrente ist nur ein Zugeständnis der großen Koalition, weil die SPD und CDU weiterhin an Wählerstimmen verloren hat, wie das Beispiel der vergangenen Landtagswahl in Thüringen zeigt“, erwähnte einer der Moderatoren, „aus dem Richterspruch zur teilweisen Verfassungswidrigkeit der Sanktionen bei Hartz IV ist jedoch nicht abzuleiten, ob die Sanktionsbeschränkung auch für Leistungen nach dem SGB III (Arbeitslosengeld I) gilt. Denn auch nach dem SGB III gibt es ebenfalls gravierende Sanktionen, wie das Ruhen des ALG I von bis zu drei Monaten. Im Übrigen sollte sich Karlsruhe auch mit der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelbedarfs bei Hartz IV und der Sozialhilfe befassen“.

Alle Teilnehmer der Kundgebung waren sich einig, dass der Kampf gegen die Hartz-Gesetze unvermindert weitergehen muss. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur teilweisen Verfassungswidrigkeit der Sanktionen ist ein wesentlicher Erfolg der jahrelangen Proteste, u.a. der Montagsdemobewegung gegen die Hartz-Gesetze.

Mit der Abschlusshymne endete die Kundgebung. Die nächste Montagsdemo ist am 9.12.19. Das Thema ist der Jahresrückblick und die Wünsche für das Jahr 2020.

Die Moderatoren, Ulrich Achenbach und Christoph Schweitzer

 

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