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Statement der Koordinierungsgruppe zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen

Entscheidung des Bundesverfassungsgericht (BVG) gegen Sanktionen in Hartz IV: Erfolg des Widerstands gegen Hartz IV, der Kampf geht weiter!

Das Bundesverfassungsgericht hat am 6.11.2019 über die Zulässigkeit von Sanktionen gegen Empfänger des Arbeitslosengelds II (Hartz IV) entschieden. Sanktionen gegen Leistungsbezieher sind nach geltendem Recht immer dann zu verhängen, wenn der Erwerbslose Auflagen des Jobcenters nicht nachkommt bzw. „Vereinbarungen“ in der Eingliederungsvereinbarung nicht einhält. Das ALG II wird um 30% gekürzt, wenn der Leistungsempfänger sich weigert, eine zumutbare Arbeit, Arbeitsgelegenheit oder Bildungsmaßnahme anzunehmen. Bei Fristversäumnissen ohne wichtigen Grund gilt eine Kürzung des ALG II um 10%. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat in seinem jüngsten Beschluss festgestellt, dass Kürzungen über 30% des ALG II verfassungswidrig sind. Auch dürfen Kürzungen von bis 30% des Regelbedarfs  bei einem erneuten Verstoß des Leistungsempfängers gegen die Eingliederungsvereinbarung nicht „angehangen“, also nochmals verhängt werden. Bei mehr als 30% Regelbedarfsminderung ist das Existenzminimum der entsprechenden Person gefährdet, was verfassungsrechtlich geschützt ist.Besonders wichtig ist der Beschluss der Richter, dass die Jobcenter die Verhältnismäßigkeit der Sanktionen in jedem Einzelfall prüfen müssen und auf Sanktionen verzichten  bzw.  die Dauer vermindern können.

Es war die SPD/Grüne Bundesregierung die 2004 die Hartz IV Gesetze einführte. Statt wie bis dahin ein Arbeitslosengeld, wurde nach 12 Monaten ALG I Bezug ein Arbeitslosengeld II (Hartz IV) eingeführt. Diese „Grundsicherung“ ( aktuell 424 € im Monat plus „angemessene“ Mietkosten pro Person), liegt jedoch weit unter dem Existenzminimum von 1136 € für Alleinstehende.

Die entscheidende Verschärfung war jedoch die Einführung von Sanktionen im breiten Umfang gegen die Arbeitslosen.  Sanktionen treffen Empfänger von Hartz IV, welche Jobangebote oder auferlegte Maßnahmen ablehnen. Auch wenn sie Termine im Jobcenter verpassen, kann das  Jobcenter mit Leistungskürzungen reagieren. wenn Betroffene gegen die sogenannte Mitwirkungspflicht  verstoßen, droht gar die Streichung aller Gelder. Die rund 4 Millionen Hartz IV Empfänger in Deutschland müssen aufgrund der rechtlichen Bestimmungen nach Sozialgesetzbuch II, jede zumutbare Arbeit oder Eingliederungsmaßnahmen annehmen. Falls nicht, drohten bisher Strafen in Form von Regelsatzkürzungen von 30, 60 oder 100 %.. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre sind es sogar noch die Mietkosten dazu, sodass dort sofort Obdachlosigkeit entsteht.. Knapp 1 Mio. mal wurden 2018 Sanktionen ausgesprochen. Bei Widersprüchen gegen JC Bescheide mussten 35 Prozent der oft willkürlichen Bescheide ganz oder teilweise zurückgenommen werden

Es entwickelte sich gegen dieses reaktionäre Armuts- und Erniedrigungs-Gesetz 2004 mit den Montagsdemos eine bundesweite Widerstandsbewegung. In der Spitze nahmen 250 000 Menschen an den Demonstrationen unter der Forderung „Weg mit Hartz IV“ teil. Von Anfang an vertraten die Montagsdemos, dass nicht der jeweilige Arbeitslose für seine Situation zur Verantwortung gezogen werden kann, sondern die Massenarbeitslosigkeit in Ost und West Ergebnis des Profit orientierten System ist. Deshalb fordern die Montagsdemos auch heute noch in vielen Städten  die  unbegrenzte Fortzahlung des ALG I (bei entsprechender Erhöhung, bei nur geringem ALG I aufgrund des bisherigen Entgelts) und Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Verkürzung der Arbeitszeit in den Betrieben auf die 30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich – weg mit Hartz IV.

Dass es der Regierung nicht um die sogenannte „Schmarotzer“ unter den Arbeitslosen ging, sondern dass sie bewußt eine Spaltung in die Gesellschaft zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen trug und im Sinne der „Liberalisierung“ für die internationalen Monopole paradiesische Profit-Zustände schuf, sollte sich schnell zeigen. Gerhard Schröder (SPD und früherer Bundeskanzler ) brüstet sich damit, in Deutschland 2004 den besten Niedriglohnsektor in Europa geschaffen zu haben. Und in der Tat arbeiten inzwischen 22,5 % der Beschäftigten (Im Jahr 2000 noch 18,7 %) unterhalb der Niedriglohnschwelle von 10,50 € die Stunde. Dazu kommt dass dies unsichere  Arbeitsverhältnisse wie Mini-Jobber: 65 %, Leiharbeiter: 40 %, Befristet Beschäftigte :34 % ,Teilzeit: 23 % und Normal Beschäftigte 9,6 %. sind (DGB 28.7.2017, Angaben der Bundesregierung). Das Hartz IV System hat durch die Drohung mit Sanktionen und anderen Zwangsmaßnahmen die Menschen eben in diese „prekären“ Arbeitsverhältnisse gezwungen!

Mit gravierenden Folgen für die Betroffenen! „Tacheles“ führt dazu aus: „Sanktionen führen nicht in die nachhaltige Marktintegration. … Sie entziehen den Betroffenen ihre Existenzgrundlage, was drastische Folgen hat: Obdachlosigkeit oder die Bedrohung durch Obdachlosigkeit, Stromsperren, Schulden oder und oft auch den Verlust der Krankenversicherung. Wir fordern das sofortige Ende der Sanktionen bei Hartz IV.“(labournet  zu BVG Urteil 6.11.19) „gegen-hartz.de“ bringt das auf den Punkt: „Eine Erhebung des Robert Koch Instituts (RKI) von 2013 zufolge, haben ALG II Empfänger eine um 10 Jahre geringere Lebenserwartung. Ursächlich ist dafür lt RKI hauptsächlich der Hartz IV Regelsatz, mit dem Betroffene  kaum Chancen auf eine ausgewogene  und vollwertige  Ernährung haben. Aber auch der psychische Leidensdruck lässt Betroffene schneller altern.“( gegen-hartz.de v.6.1.2019)

Es geht also nicht nur um die wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen, sondern um ihre Menschenwürde und die demokratischen Rechte! Das Sozialgericht Gotha hat 2015 (!!) Sanktionen in Hartz IV für verfassungswidrig erklärt und vor das Bundesverfassungsgericht gebracht zur höchst richterlichen Entscheidung.

Chr. Butterwege kennzeichnet in „die Zeit“ dies folgendermaßen: „Sanktionen sind also nicht bloß inhuman und schon deshalb verfassungswidrig, weil sie gegen die Menschenwürde (Artikel 1, Absatz1 Grundgesetz) verstoßen, sondern  im Falle ihrer Anwendung auch kontraproduktiv …“( Zeit v. 31.10.19) Daneben geht es auch um die im Grundgesetz garantierte „Berufsfreiheit“ ( „Art 12 GG), um den „Schutz des Existenzminimums“ und das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2 GG).

Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist zwar zu begrüßen. Die Höhe des Regelsatzes ist jedoch mit 424,00 Euro für den Haushaltsvorstand so gering, dass damit die Lebenshaltungskosten (einschl. Haushaltsstrom und Fahrkosten sowie Versicherungen) nicht bestritten werden können. Daher steht eine Prüfung der Höhe des Regelbedarf durch das höchste deutsche Gericht weiterhin aus. Außerdem ist zu kritisieren, dass das Urteil des BVG nicht rückwirkend für Altfälle gilt. Jedem Hartz IV – Empfänger ist daher dringend zu raten, Widerspruch gegen einen noch nicht rechtskräftigen Leistungskürzungsbescheid des Jobcenters mit Hinweis auf das jüngste Urteil des BVG zu erheben.

Weiterhin müssten die größtenteils unzumutbaren Kriterien für die Zumutbarkeit für eine Beschäftigung bzw. Arbeitsgelegenheit (Ein-Euro-Job) ebenfalls verfassungsrechtlich geprüft werden. Nach dem SGB II ist fast jede Arbeit zumutbar, selbst unsichere- oder Minijobs bei Leiharbeit, die keinerlei Perspektive auf einen qualifizierten und dauerhaften Arbeitsplatz bieten. Das gleiche gilt für die Arbeitsgelegenheiten oder unsinnige Bildungsmaßnahmen, z.B. wiederholtes Bewerbertraining.

Fazit: Weiterhin gilt: Hartz IV muss weg, Erwerbslose müssen solange das Arbeitslosengeld I bekommen (bei (entsprechender Erhöhung, wenn der Leistungssatz durch das vorherige Einkommen nicht Existenz sichernd ist), wie die Arbeitslosigkeit andauert. Zumutbar darf nur eine Arbeit sein, wenn sie dem bisherigen Beruf oder einer berufsähnlichen Tätigkeit und annähernd dem bisherigen Entgelt entspricht. Wird eine solche Arbeit ohne wichtigen Grund nicht angenommen, so das BVG, wären Sanktionen im Rahmen des Urteils des BVG immer noch gerechtfertigt.

Nicht zuletzt die Tatsache dass jetzt im höchsten deutschen Gericht die Verletzung der Menschenwürde durch die Sanktionen bei Hartz IV behandelt werden muß, ist aber auch Ergebnis des Widerstands der Montagsdemo Bewegung und von allen Menschen die sich an diesem Widerstand beteiligen. Es ist es zu begrüßen, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund die Sanktionen bei Hartz4 zwischenzeitlich auch ablehnt.

Sicher bleibt, dass der Widerstand auf der Straße und in den Betrieben gegen Hartz IV und gegen die Niedriglohnpolitik weiter geführt werden muss.  Sofortige vollständige Streichung der Sanktionen bei Hartz IV! Weg mit Hartz IV !  Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden die Woche bei vollem Lohnausgleich.

November 2019, für die Koordinierungsgruppe der Bundesweiten Montagsdemo

Siggi Renz, Ulrich Achenbach und Matz Müllerschön

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