Beitrag von Siggi Renz, Mitglied der Koordinierungsgruppe der bundesweiten Montagsdemo:
Die Massenarbeitslosigkeit ist das größte soziale Problem in Deutschland. Wie man sich dazu stellt, was zur Lösung dieses Problems nötig ist, darum dreht sich die Diskussion und Auseinandersetzung – in der Politik vor allem um Hartz IV , in den Betrieben um die Reduzierung der Arbeitszeit, neue Zeitmodelle und die Bedingungen unter denen die Kollegen arbeiten müssen. Die jüngsten Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit schreiben eine wahre Erfolgsgeschichte der Regierung und der „Wirtschaft“. So heißt es : „Sie (die Arbeitslosigkeit) ist auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Lediglich 2,21 Millionen Menschen sind ohne Arbeit, das sind 5,2, %.“ (Zeit online v. 4.1.2019).
Also alles in Butter, stehen wir kurz vor der Vollbeschäftigung? Weit gefehlt! Die Methode wie die Arbeitslosigkeit statistisch ausgewertet werden soll hat der Gesetzgeber vorgeschrieben im Sozialgesetzbuch II. Dort ist auch die Manipulation der Statistik festgeschrieben. Demnach zählen als arbeitslos: – alle die als arbeitslos gemeldet sind; – die gar nicht oder weniger als 15 Stunden arbeiten und – alle die arbeitssuchend sind.
Nicht dazu zählen: – alle die an einer Maßnahme zur aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnehmen ; – alle die vorübergehend krank sind;- alle die über 58 sind und Hartz IV beziehen; – alle die seit 1 Jahr keine Job Angebote erhalten haben. Diese Gruppe von Arbeitslosen umfaßt ca. 1 Million. Zählt man die zur offizielle Statistik dazu dann kommt man auf ca. 3,2 Mio Menschen.
Damit noch nicht genug. Dazu kommt noch die „stille Reserve“. Hier handelt es sich um Menschen die aus irgend einem Grund sich nicht arbeitslos melden, jedoch bereit wären eine Arbeit anzunehmen. Die BA schätzt diese Gruppe für 2017 auf 134 000 Menschen (Spiegel Online 1.3.2017). D.h. wir müssen von 3,4 Millionen arbeitslosen Menschen 2018 ausgehen. Tatsächlich müßten diejenigen die in Teilzeit arbeiten und unterbeschäftigt sind und deshalb mehr arbeiten wollten dazugezählt werden. Prof. Bontrup von der westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen geht von 3,4 Mio Betroffenen aus (Deutsche Welle v. 3.1.18). D.h. über 6 Mio Menschen sind in Deutschland real arbeitslos oder unterbeschäftigt.
Mancher wird jetzt einwenden: Das mag ja stimmen, aber die Quote ist doch tatsächlich seit 1991 rückläufig. Also sind doch mehr Menschen in Arbeit gekommen. Das ist richtig, ist aber nicht der Kern der ganzen Entwicklung. Prof. Heinz- Josef Bontrup meint dazu: „Seit der Wiedervereinigung ist das gesamte Arbeitsvolumen in Deutschland konstant geblieben und liegt bei etwa 60 Milliarden Stunden im Jahr. Aber dieses Volumen wird völlig anders verteilt wie früher. Zwar arbeiten heute mehr Menschen: Dies aber nur, weil der Anteil der Teilzeitbeschäftigten drastisch angestiegen und der der Vollzeitbeschäftigten gesunken ist. So hat die Teilzeitquote bei den abhängig Beschäftigten von 17,9 % (1991) auf 37,5 % im Jahr 2016 zugenommen und die Vollzeitquote ging entsprechend von 82,1 % auf 62,5 % zurück.“ (Deutsche Welle v. 3.1.2018) . 1,2 Mio Menschen die berufstätig sind und dennoch noch auf Hartz IV angewiesen sind, als sogenannte „ Aufstocker“, sprechen eine deutliche Sprache.
Das Problem der Massenarbeitslosigkeit kann nicht durch raffinierte statistische Tricks gelöst werden, sondern erfordert wirksame Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in den Betrieben und den Kampf gegen Niedriglöhne und Leiharbeit. Es erfordert auch über die Grenze dieses Systems hinauszudenken, denn der Kapitalismus wird das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht lösen können.