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Hans-Dieter Wege
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Gelsenkirchen, den 31. März 2010
Lieber Hans-Dieter Wege,
vielen Dank für deine Anfrage vom Januar nach der Meinung der MLPD zu deinem
Vorschlag zur Einführung eines »linken bedingungslosen Grundeinkommens«.
Diese Debatte wird ja nun seit Anfang der Einführung der Hartz-Gesetze verstärkt
geführt und wir haben seit 2006 in der Roten Fahne mehrfach dazu Stellung genommen.
Wir haben nachgewiesen, dass das bedingungslose Grundeinkommen auf eine
weitere Umverteilung von unten nach oben hinauslaufen würde. Die mit dem bedingungslosen
Grundeinkommen gegebene Einführung eines Kombilohns wäre für die
Kapitalisten ein großes staatliches Lohn(„kosten“)senkungsprogramm. Und in jedem
Fall würde die durch das Grundeinkommen organisierte gesellschaftliche Nichtarbeit
durch die Arbeit der Lohnabhängigen finanziert.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, welche Erleichterung sich Erwerbslose, die seit
vielen Jahren Hartz IV beziehen müssen, von einem bedingungslosen Einkommen
von 800-1000 Euro im Monat versprechen. Wichtiger noch als die absolute Höhe eines
solchen Grundeinkommens ist den meisten von ihnen, dass damit die entwürdigende
Feststellung des Bedarfsanspruchs auf ALG II und die Kosten für die Unterkunft
entfielen. Endlich Schluss mit erniedrigenden Eingliederungsvereinbarungen,
Ein-Euro-Jobs, Zwangsumzügen wegen »unangemessener Miete«, Überwachungen,
Schikanen und Sanktionen.
Nicht nachvollziehen kann ich allerdings, wenn versucht wird, diese verständlichen
Hoffnungen auszunutzen, um die kleinbürgerlich Illusion von der Abschaffung der
Lohnarbeit im Kapitalismus zu verbreiten.
Ich erinnere an den flotten Spruch von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering im Jahre
2005 (als antikapitalistische Sprüche gerade überall in Mode kamen): »Wer nicht arbeitet,
soll auch nicht essen.« Eine unter der Bedingung des Kapitalismus an
Zynismus kaum zu übertreffende Aussage.
Müntefering nannte das eine »alte Erfahrung der Arbeiterbewegung«, unterschlug
aber, dass diese Aussage der Arbeiterbewegung erst für den Sozialismus gilt, also
unter den Bedingungen der politischen Macht der Arbeiterklasse, der Abschaffung
der Arbeitslosigkeit und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Im Kapitalismus
bedeutet der Spruch nichts anderes als: ‚Wer arbeitslos ist und bleibt, ist
selber schuld und soll verhungern‘. Im Sozialismus gibt es keine Arbeitslosigkeit und
die Menschen werden erstmals nach ihrer Leistung bezahlt.
Der Befreiung der Arbeit von ihrem Charakter als Lohnarbeit entspricht das Verteilungsprinzip
im Kommunismus: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen
Bedürfnissen.« Manche Apologeten des bedingungslosen Grundeinkommens
reklamieren dieses kommunistische Verteilungsprinzip bereits für ihr Modell heute im
Kapitalismus! So pries Götz Werner, Besitzer von 1.700 Drogeriemärkten, am
27.11.2006 in einem taz-Interview mit der Weisheit des anthroposophischen Milliardärs
sein bedingungsloses Grundeinkommen als »gleichzeitig die radikalste Form
des Sozialismus und die radikalste Form des Kapitalismus.«
Es liegt dir viel daran, dich von Modellen eines Bürgergelds à la FDP oder Grundeinkommens
Marke Werner oder Althaus abzugrenzen. Im Gegensatz zu diesen Herrschaften
sei dein bedingungsloses Grundeinkommen ein »guter Einstieg dafür,
eine Menge Menschen auch auf dem Weg zum Sozialismus mitzunehmen.«
Dabei gehst du aber zunächst von der gleichen These wie Götz Werner oder wie der
Vorsitzende des Weltwirtschaftsinstituts Hamburg (HWWI), Thomas Straubhaar, aus:
die Massenarbeitslosigkeit sei nicht mehr zu beseitigen, weil das dazu notwendige
Quantum an gesellschaftlicher Arbeit nicht mehr zur Verfügung stehe. Du machst
dazu auch entsprechende Rechnungen auf. So behauptest du, man müsste sofort
den 4-Stunden-Tag einführen, wenn man die 46 Milliarden Erwerbsstunden aller
Arbeitenden im Jahr auf alle 44 Millionen Erwerbsfähigen gerecht verteile. Nach mir
vorliegenden Erhebungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen)
betrug die Jahresarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland 2004
durchschnittlich 1.760 Stunden. Wenn wir die damals 11 Millionen
Teilzeitbeschäftigten als 50-%-Beschäftigte behandeln, macht das in jenem Jahr
51,18 Milliarden Erwerbsstunden. Diese geteilt durch 44 Millionen Erwerbsfähige
würde einen 5,9-Stundentag ergeben. Das zeigt nur, wie sinnvoll die Forderung nach
der 30-Stundenwoche beziehungsweise 6-Stundentag ist, um Arbeitsplätze zu
erhalten beziehungsweise neue zu schaffen.
Dass zu wenig Arbeit da sei, ist nichts anderes als eine moderne Lebenslüge
des Kapitalismus. Überall fehlen dringend Arbeiter und Angestellte: bei den kommunalen
Diensten, im öffentlichen Nahverkehr, in den Krankenhäusern, in der Altenpflege,
beim Umweltschutz usw. usf.. Und sollte tatsächlich nur noch so wenig Arbeitszeit
zu verteilen sein, dass auf jeden Erwerbsfähigen 4 Stunden am Tag kommen,
bedeutete dies doch nur, dass die hohe Arbeitsproduktivität allen zugute
kommt. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes und Berechnungen der GSA
betrug der Umsatz je Arbeiter 2004 in der Industrie mit 383.347 € rund 70 % mehr als
10 Jahre zuvor. Vor allem aber beträgt sein Lohnanteil an diesem Umsatz im selben
Jahr nur noch 15 % (10 Jahre zuvor noch 20,6 %). Auf die Wochenarbeitszeit umgerechnet
bräuchte ein Arbeiter in der Großindustrie heute also nur noch 1 Stunde und
8 Minuten täglich seine Arbeitskraft zu verkaufen, um seinen Lohn zu erarbeiten.
Im Sozialismus kann auf einem solch hohen Niveau der Arbeitsproduktivität die Arbeitszeit
erheblich verkürzt werden. Damit gewinnen die Menschen neue Lebensräume
für kulturelle Betätigungen, ehrenamtliche Aufgaben und politische Arbeit, mit denen
sie sich an der Leitung der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates beteiligen.
Unter kapitalistischen Bedingungen wird hingegen die ehrenamtliche Tätigkeit in
der Art ausgebeutet, dass der Staat sich von diesen Aufgaben entlastet und das bislang
dafür aufgewendete Steuergeld an die Kapitalisten umverteilt.
Ob mit oder ohne bedingungsloses Grundeinkommen: Im Kapitalismus bleibt die
Lohnarbeit die Hauptprofitquelle der Kapitalisten. Sie eignen sich die unbezahlte
Mehrarbeit der Arbeiter unentgeltlich als Mehrwert an. Das bedingungslose Grundeinkommen
hat für sie dabei den Reiz einer massiven Senkung ihrer Lohnkosten.
Beginnt doch die Auszahlung der Löhne erst ab einem Betrag über 800-1000 €. Da
mit diesem auch sämtliche Sozialversicherungskosten abgedeckt sein sollen, sackt
sich der Kapitalist seine bisher gezahlten Anteile zusätzlich ein.
Dein Einwand, dass dein »linkes« bedingungsloses Grundeinkommen sich von dem
eines Götz Werner ja gerade dadurch unterscheidet, dass es nicht über eine 50-prozentige
Mehrwertsteuer finanziert werde, macht es nicht besser. Du willst deine 1000
€ pro Bundesbürger durch eine »Arbeitgeberabgabe« finanzieren. Der von dir mit einem
Kombilohn reich beschenkte Unternehmer mag sich deshalb sogar bereit finden,
eine kleine Grundeinkommensabgabe in einen Fonds einzubezahlen. Wie man
es dreht und wendet, es bleibt dabei, dass allein die Mehrwert schaffende Arbeiterklasse
das Grundeinkommen für die, die nicht arbeiten, schafft. Und auch die »Arbeitgeberabgabe
« besteht aus nichts anderem, als dem von der Arbeiterklasse geschaffenen
Mehrwert.
Lieber Hans-Dieter Wege, ich möchte zum Schluss noch kurz auf deine »Mit mir
nicht!«-Idee eingehen. Du unterstellst, dass der Empfänger eines bedingungslosen
Grundeinkommens sozusagen als »neuer Souverän« seinem Unternehmer entgegen
tritt. Kommt der ihm dumm, dann erklärt der Arbeiter ihm: »Mit mir nicht!«, dreht sich
um und verlässt die Stätte der Ausbeutung. Er pfeift auf die Arbeitsstelle, denn
schließlich erwartet ihn zu Hause ein Grundeinkommen von 1000 Euro.
Wie Du weißt, ist es eine gesetzmäßige Eigentümlichkeit im Kapitalismus, dass erkämpfte
oder gewährte Reformen von den Kapitalisten ständig wieder rückgängig
gemacht werden – in der Lohnfrage oder der Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens
zum Beispiel durch Preissteigerungen. Es ist also fraglich, ob und wie lange
man von 1000 Euro monatlich leben kann. Schon gar nicht mit Auto und Urlaub.
Auch Götz Werner und Thomas Straubhaar gehen davon aus, dass der Kampf um
ein bedingungsloses Grundeinkommen dann der letzte Kampf der Arbeiterklasse
war. Denn von nun an brauchen die Arbeiter weder Gewerkschaften noch selbstständige
Zusammenschlüsse, ein »Mit mir nicht!« reicht. Für Götz Werner ist das in dankenswerter
Offenheit eben genau die Alternative zu gefährlichen Arbeiter- und Volkskämpfen:
»Der soziale Crash, auf den wir zusteuern, würde nicht stattfinden.«
(Interview in »die Drei«, Zeitschrift der Anthroposophie, April 2007).
Alle uns bis heute bekannten Modelle zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens
laufen darauf hinaus, die Arbeiterklasse zu entwaffnen und mit dem kapitalistischen
System auszusöhnen. Deine sicher wohl gemeinte »Mitnahme zum Sozialismus
« erweist sich bei näherer Betrachtung als das Gegenteil, als die Bemühung
zum »Verbleiben im Kapitalismus«. Statt mit einem bedingungslosen Grundeinkommen
halten wir es deshalb nach wie vor mit Losung von Karl Marx: »Nieder mit dem
Lohnsystem!«
Den Kampf um so wichtige Reformforderungen wie für die 30-Stunden-Woche bei
vollem Lohnausgleich, für einen Mindestlohn von (gegenwärtig) 10 Euro, für die
unbegrenzte Fortzahlung des Arbeitslosengeldes für die Dauer der Arbeitslosigkeit,
für ein Existenz-sicherndes Sozialgeld ist deswegen zu verbinden mit dem Kampf für
den Erhalt und die Erweiterung der bürgerlich demokratischen Rechte. Dabei steht
der Kampf für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht im
Mittelpunkt. Mit diesen Forderungen entschlossen geführte Massenkämpfe sind in
der Tat ein »guter Einstieg dafür, eine Menge Menschen auch auf dem Weg zum
Sozialismus mitzunehmen.«
Lieber Hans-Dieter Wege,
so weit zu unserer Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen. Zu vielen
einzelnen deiner Thesen und weiteren Aspekte ließe sich noch viel sagen. Wir
begrüßen ausdrücklich eine sachlich und solidarisch geführte Auseinandersetzung
darüber.
Was die Montagsdemonstration betrifft, so halte ich es nicht für richtig, ihr eine
Entscheidung für oder gegen das bedingungslose Grundeinkommen abzuverlangen.
Hier handelt es sich ja nicht um eine Organisation mit einer ausgearbeiteten Linie,
sondern um eine Bürgerbewegung auf der Grundlage weniger, klarer Prinzipien. Nur
so kann sie ihrer Rolle als Plattform für den breiten Volkswiderstand auf
antifaschistischer Grundlage gerecht werden. Und in diesem Sinne denke ich, dass
unsere unterschiedlichen Standpunkte absolut kein Hinderungsgrund für eine enge
und vertrauensvolle Zusammenarbeit im aktiven Volkswiderstand darstellen.
Lass uns weiterhin solidarisch streiten.
Herzliche Grüße
Stefan Engel