Damals waren wir beide gleich,
war`n gute Kollegen im Werkstattbereich,
schufteten in derselben Luft,
beide in gleicher verschwitzter Kluft;
dieselbe Arbeit, derselbe Lohn,
derselbe Chef und dieselbe Fron,
unter demselben drückenden Joch…
Ach, Schröder, erinnerst du dich noch?
Doch du, Kollege, warst smarter als ich.
Dich wenden, das konntest du meisterlich.
Wir mussten leiden ohne zu klagen,
aber du – du konntest so trefflich es sagen
und wusstest so glänzend zu argumentieren
und konntest aus allen Büchern zitieren.
Treue um Treue – wir glaubten die doch!
Kollege, erinnerst du dich noch?
Heute ist alles vergessen, vergangen.
Man kann nur durch Vorzimmer zu dir gelangen;
Kennst nicht mehr die alten Werk-Kameraden,
wirst aber von aller Welt eingeladen.
Du rauchst mit den Bossen die dicken Zigarren
und lachst über Demonstranten und Narren.
Ach, lang ist es her, das alles begann…
Genosse, denkst du noch manchmal dran?
Du zuckst die Achseln bei Hummer und Tee,
du vertrittst die Partei, der SPD,
warst führend in hoher Politik
als Kanzler der Bundesrepublik.
Jetzt bist du Direktor beim Gaskonzern,
machst große Geschäfte in nah und fern.
Du hast mit der Welt deinen Frieden gemacht…
Doch hörst du nicht manchmal in dunkler Nacht
Eine leise Stimme, die mahnend spricht:
„Genosse Schröder, schämst du dich nicht?“
Nach Kurt Tucholsky, 1890-1935
Bearbeitet für die Gegenwart von Martin Pagel
2009
Berliner Bündnis Montagsdemo